Skip to Content

Home > Deutschland > Berlin > Berlin: Georg Baselitz. Man sollte...

< Previous | Next >


Georg Baselitz.

Georg Baselitz. "Das könnte französisch sein" 2021 oil, dispersion binder, fabric and nylon tights on canvas 300 x 185 cm | 118 1/8 x 72 7/8 in

Berlin: Georg Baselitz. Man sollte... Geändert

https://cfa-berlin.de/exhibitions/47791/man-sollte-23-januar-1938/works/


23.01.2023 - 11.03.2023
CFA CONTEMPORARY FINE ARTS Grolmanstraße 32/33 10623 Berlin - Charlottenburg
ie große Nacht im Eimer“, die 1963 in Berlin einen Skandal auslöste. Das Motiv eines Verstümmelten mit dem übergroßen Penis, der wie ein Knüppel aussieht, musste im Nachkriegsdeutschland Ärger bereiten, einem Land, das sich gerade von unmittelbaren Folgen des Krieges erholt hatte.

Hier zeigte sich zum ersten Mal für die Öffentlichkeit ein unerschrockener, angstfreier, „renitenter“ Künstler, wie Baselitz sich selbst charakterisierte. Es blieb nicht dabei; denn seit 1969 stellte er seine Motive auf den Kopf, wohlgemerkt nicht die Bilder. Als Trick wurde das abgetan, als Reklamegag. Baselitz ließ sich nicht beirren. Er blieb bei der Motivumkehr, die ihm eine ungeahnte kompositorische und künstlerische Freiheit verschaffte; diese nutzte er zu einer weitausgreifenden Erkundung von Möglichkeiten der Malerei, die bis dahin nie erprobt worden waren.

Baselitz identifiziert seine Malerei-Haltung mit einer malerischen Tradition, die von Munch bis Malewitsch, von Kirchner bis Strindberg, von Schönberg bis zu Soutine reichte. Während der neunziger Jahre drängte sich Erinnerung aus Schichten des Biografischen und des Menschlich-Existenziellen in das Schaffen. Als 1995 die erste große amerikanische Retrospektive im Guggenheim Museum gezeigt wurde, tauchten in großen Querformaten Zitate nach den „Helden“-Bildern auf. Schon 1990 hatte die Skulpturen-Gruppe der “Dresdner Frauen“, im Umfeld der deutschen Wiedervereinigung, Reflexe der Vergangenheit gespiegelt.

Wieder einen abrupten Schritt bedeutete das Konzept von „Remix“, das 2005 begonnen wurde. Mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst und dem Kunstbetrieb gegenüber verfolgte Baselitz diese Strategie für eine Reihe von Jahren und kam zu entspannten, zwangsbefreiten Bildlösungen, denen Contemporary Fine Arts 2007 ihre erste Ausstellung mit dem Künstler widmete. Er reihte sich in eine gute Gesellschaft ein; Picasso und Léger, Munch und Schwitters hatten Reprisen früherer Werke vorgenommen und produktiv gewendet.

Baselitz gab sich jedoch nicht zufrieden mit den Wiederaufnahmen, wie sein letzter überraschender Werkabschnitt zeigt. In Gedanken an das ungewöhnliche Leben und die wechselvolle Laufbahn von Hannah Höch entstanden Werke, die der Malerei eine starke Prise Dadaismus beimischten: Damennylonstrümpfe und Stoff wurden als malerische und strukturelle Elemente eingesetzt. Baselitz vertraut auf seinen untrüglichen Bildinstinkt und das Potenzial des Provokativen, das seine Erfindung in sich hat.

„Vor gut zwei Jahren fiel mir Hannah Höch ein mit ihren komischen Beinen, ihren Strumpfbildern. … Ich hatte mich bisher nie getraut, Collagen zu machen. Die Methode fand ich wunderbar. Aber die Frage war: Wie könnte ich diese Methode mit meiner albernen Malerei benutzen? Dann hatte ich einen Traum mit den Strümpfen“, äußert Baselitz vergangenes Jahr im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, „Früher habe ich Bilder mit Schuhen gemacht, die sich alle auf Frida Kahlo beziehen. Diese neuen Bilder mit den Strümpfen beziehen sich auf Hannah Höch, auch wenn das kaum jemand wahrnimmt. Ihr großartiges Werk an Collagen ist heute fast nicht sichtbar.“

Erstmalig wendet Baselitz also das Prinzip der Collage an, erweist damit einer gleichermaßen radikal freien Künstlerin Referenz. Der Effekt der sich in Auflösung befindlichen Körper, Baselitz‘ Memento Mori-Bildidee, die in den vergangenen Jahren sein malerisches Schaffen dominierten, wird durch die vorgelagerten Collageelemente der Strümpfe und Stofffetzen noch verstärkt. Das Vergehen der Körper wird konterkariert und gleichermaßen dramatisiert von der unvergänglichen Dinglichkeit noch des absurdesten Objekts.

Für Baselitz verbindet sich sein Tun mit einer Widerständigkeit und Widerspenstigkeit, die erst die wünschenswerte künstlerische Freiheit entstehen lässt; denn diese Freiheit ist nicht gegeben oder vorausgesetzt, sondern wird von einem unbändigen Willen hervorgebracht. Aus diesem kann erst das Werk entstehen. Es gehorcht nicht einer ästhetischen Selbstbewegung, sondern Willensakten, die abrupt und unberechenbar sind. Auch mit 85 Jahren ist diese Energie ungebrochen, die Baselitz den Weg weist.

Eingetragen am: Montag, 23.01.2023
Letzte Änderung: Dienstag, 07.03.2023


Ihre Stimme Fehler oder Änderung mitteilen